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expedition 2025 06/2021 Link: expedition2025

Space Wwwariors

Wie Unternehmen um die digitale Vorherrschaft im Weltraum kämpfen. Und was wir davon erwarten können, wenn das Internet in Zukunft per Satellit ausgestrahlt wird.

Ein klarer Sternenhimmel lässt viele Menschen an die nicht endende Weite des Universums denken. Doch nur wenige Hundert Kilometer über unseren Köpfen vollzieht sich ein ebenso ungeheuerliches Mysterium: Milliardenschwere US-Konzerne, europäische Technologietreiber und chinesische Staatsunternehmen bauen für astronomische Summen Hotspots im Weltall auf. Schwärme von Tausenden Satelliten sollen an jedem Punkt der Erde Zugang zum Internet ermöglichen. Wie sieht das fliegende Netz der Netze aus? Wer sind die Player der Zukunft? Und welche Chancen und Risiken birgt der außerirdische WLAN-Anschluss? Ausblick in eine neue Umlaufbahn.

Anfang Oktober 2020 meldet sich der Stamm der Hoh von der entlegenen Olympic-Halbinsel im äußersten Westen Nordamerikas per YouTube. Es ist eine kleine Sensation, denn Highspeed-Internet haben die amerikanischen Ureinwohner an der Pazifikküste eigentlich nicht. Doch das ändert sich an jenem Tag, als sie eine kleine Satellitenschüssel von SpaceX- auf eines ihrer Dächer schrauben. Schlagartig bekommen die Menschen Online-Zugang zur Gesundheitsversorgung und zum Schulunterricht. „Wir fühlen uns“, twittern sie, „als wären wir bisher mit einem Löffel flussaufwärts gepaddelt.“ Milliardär Elon Musk gratuliert postwendend: You’re most welcome! – Sie sind herzlich willkommen!

Die Episode aus dem Bundesstaat Washington illustriert, worum es geht beim Aufbau des neuen Internets from space: Das Netz aus erdnahen Satelliten will an jedem Ort der Welt Zugang zu schnellem Internet und Breitbanddiensten eröffnen – egal ob in Afrika, Asien, der Arktis oder in den Funklöchern der Industrienationen. Hotspots im All sollen als dritte Dimension neben Festnetz und Mobilfunk die großen Lücken schließen, die bisher die halbe Welt von Zugängen ausschließt. Nicht umsonst nannte sich einer der ersten Internet-Satellitenanbieter in Anspielung an die drei Milliarden Offliner der Menschheit: Other three billion. „O3B“ ging im luxemburgischen Satellitenkonzern SES auf, der versorgt heute mit mehr als 70 Satelliten in mittleren Umlaufbahnen Fernsehsender, Mobilfunkanbieter, Militärs, Kreuzfahrtschiffe und Dörfer in entlegenen Winkeln der Welt.

Abenteuer auf neuer Umlaufbahn

Satelliteninternet ist damit keine durchgeknallte Sciencefiction mehr. Der Wettlauf ist im vollen Gange. Elon Musk als Sprinter hat bereits mehr als 1600 Kommunikationssatelliten ins All geschossen und legt im Wochenrhythmus nach. Denn seine mehrfach nutzbaren Falcon-9-Raketen können nicht nur starten, sondern auch wieder landen. Die Kühlschrank-großen, vernetzten Datenboxen mit etwa 250 Kilo Gewicht fliegen in festen Gruppenformationen um den Erdball und versorgen schon etliche Betatest-Kunden mit Übertragungsraten von bis zu 150 Mbits, wenn auch schwankend. Und das ist erst der Anfang. Starlink hat von der US-Telekommunikationsagentur Federal Communications Commission (FCC) Genehmigungen für knapp 12.000 Satelliten erhalten, 42.000 Satelliten könnten es einmal werden. Washington fördert das Starlink-Programm mit 885,5 Millionen Dollar – vorerst.

Anders als bisherige Satelliten fliegt die neue Generation im erdnahen Low Earth Orbit (LEO) in gut 500 Kilometern Höhe. Zum Vergleich: Die ISS dreht bei 400 Kilometern ihre Runden. Die neuen Router rasen mit bis zu 30.000 Stundenkilometern um den Globus, weil sie sonst abstürzen würden. In rund anderthalb Stunden haben sie die Erde umrundet. Im Flug erhalten sie Daten von Bodenstationen und leitet sie an die Nutzer weiter. Die Kunden verbinden sich mit einer mobilen, pizzagroßen Antenne direkt mit dem Satelliten. Die Empfangsterminals werden automatisch mit den Satelliten nachgeführt. Bei Latenzzeiten von 10 bis 50 Millisekunden sind Echtzeittelefonie und Videochats absolut möglich. Geostationäre und andere Satelliten haben dagegen durch ihre größere Entfernung zur Erde von einigen Tausend Kilometern deutlich höhere Verzögerungszeiten oder erreichen nur gewisse Breitengrade.

In ein paar Jahren soll der Satellitenfunk sogar nahtlos in Glasfaser- und Mobilfunknetze übergehen, sagt Marc Hofmann, Experte für Satellitenkommunikation in der Raumfahrtagentur beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dann spielt es für Nutzer keine Rolle mehr, wo ihre Datenverbindung gerade herkommt. „Langfristig sollen sich sogar Handys direkt mit den niedrig fliegenden Hotspots verbinden können“, sagt Hofmann.

Spieler einer neuen Dimension

Doch die Räume im Orbit sind begrenzt – und Starlink ist nicht allein im All. Amazon-Gründer Jeff Bezos hat für sein Projekt Kuiper Konstellationen von 3236 Satelliten angekündigt und droht seinem Raumfahrtrivalen Elon Musk harte Konkurrenz an. Verträge für die ersten neun Raketenflüge mit der United Launch Allianz sind unterschrieben. Als Starlink von der FCC im Frühjahr 2021 grünes Licht erhielt, weitere 2800 Satelliten auf 550 Kilometern Höhe statt wie geplant auf 1200 Kilometern zu fliegen, lieferten sich Bezos und Musk einen harten öffentlichen Schlagabtausch. Denn: Zu viele Satelliten erhöhen das Risiko von Kollisionen und Funkstörungen. Über die Motive des Onlinehändlers für seine Milliarden-Investition wird spekuliert. Sein erklärtes Ziel, preisgünstige Internetanschlüsse in alle Ecken der Welt zu bringen, könnte auch damit zu tun haben, Milliarden neue Kunden zu gewinnen.

Auch Tobias Hoffmeister, Präsident und CEO von MHP Americas, arbeitet mit einem Großkonzern am Aufbau einer Satellitenproduktion. Über Details darf er nicht sprechen, aber Hoffmeister erkennt im Aufbau der Satellitenkonstellationen das vertraute Selbstverständnis der USA. „Für die amerikanische Gesellschaft hat das Projekt eine ähnliche Bedeutung wie die Landung auf dem Mond“, sagt der 41-Jährige. „Der Anspruch, weltweit führend zu sein, gilt im Weltraum genauso wie auf der Erde.“

Auch Anbieter außerhalb der USA stehen auf der Startrampe. OneWeb aus London, ein britisch-indisch-französisches Konsortium, hat schon mehr als 200 LEO-Satelliten im Orbit, geplant ist eine LEO-Flotte von 648 Satelliten. Bis Jahresende soll ein eigener Dienst starten. Selbst Coca-Cola soll bei OneWeb investiert haben, um seine Verkaufskioske und Getränkeautomaten als Hotspots auszustatten – sei es in afrikanischen Oasen oder auf Inseln im Südpazifik. Telesat aus Kanada richtet sich indes nicht an Endkunden, sondern an Business-Dienstleister. Der erfahrene Konzern aus Ottawa legt seine LEO-Konstellation Lightspeed mit 298 Satelliten für die strengen Anforderungen von Telekommunikationskonzernen, Regierungen, Seefahrt und Luftfahrt aus.

Und auch Peking schläft nicht. „Große chinesische Staatsunternehmen für Weltraumtechnik verfolgen sehr ambitionierte Ziele“, beobachtet Daniel Voelsen, Forscher der Stiftung Wissenschaft und Politik, der die Bundesregierung und den Bundestag berät. „Sie haben angekündigt, LEO-Konstellationen mit Hunderten oder gar Tausenden Satelliten aufzubauen. Die chinesische Führung“, so Voelsen, „ist sich der globalen Bedeutung von Kommunikationsinfrastrukturen im Weltraum durchaus bewusst.“ Daneben hat Chinas größter Autobauer und Volvo-Eigentümer Geely ein eigenes Netzwerk angekündigt.

Die Entscheidungen über den Start von Satellitensystemen trifft die Weltgemeinschaft: Die Uno betreibt mit der International Telecommunication Union (ITU) in Genf eine völkerrechtlich verbindliche Institution, die das globale Funkspektrum, Lizenzen zur Frequenznutzung und die Zuordnung von Satellitenpositionen regelt. Erst danach vergeben nationale Institutionen wie die amerikanische FCC oder die deutsche Bundesnetzagentur Rechte für Funkstellen im jeweiligen Land.

Wo bleibt Europa?

Abgesehen von OneWeb hat sich in der EU bisher kein Betreiber für ein eigenes Satelliteninternet aufgetan. EU-Kommissar Thierry Breton treibt daher eine Initiative für ein europäisches Breitbandnetz aus dem All voran. Er will die digitale Souveränität Europas erhalten und Abhängigkeiten von den USA oder China vermeiden. Auch der neue ESA-Chef Josef Aschbacher mahnt einen „Ruck nach vorn“ an. „Europa hat unter politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten ein starkes Interesse an einer eigenständigen Konstellation“, sagt Politikberater Voelsen. Andernfalls könnten die USA oder China diesen Teil der globalen Internetstrukturen kontrollieren und damit auch immer mehr steuern, ob und unter welchen Bedingungen weltweit Informationen ausgetauscht werden.

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt setzt dabei allerdings auf eine marktgetriebene Entwicklung. „Europa ist in der Satellitentechnologie sehr gut aufgestellt“, sagt Hofmann. „In Deutschland sind wir in Bereichen wie der Laserkommunikation und der Solarenergieversorgung sogar weltweit führend.“ Airbus etwa liefert die Satelliten für OneWeb und der französische Thales-Konzern an Telesat aus Kanada. Parallel entwickeln Unternehmen in vielen Ländern oft mit staatlicher Unterstützung die Satellitentechnik, die Kommunikationssoftware und sogar Mini-Raketen weiter. Die Fraunhofer-Gesellschaft hat inzwischen eine „Space-Allianz“ aus 17 Instituten geschmiedet. Ihr Ziel: Die Raumfahrttechnologie in eine neue Dimension zu führen.

In Deutschland ist sogar ein New Space-Boom entbrannt: Die Bundesregierung fördert drei junge Raketen-Startups bei der Entwicklung kleiner unbemannter Trägerraketen für Kleinsatelliten, sogenannte Mikrolauncher. Erste Starts sind für 2022/2023 in Norwegen geplant. Parallel kämpft der deutsche Industrieverband BDI für einen schwimmenden Weltraumbahnhof in der Nordsee. Die German Offshore Spaceport Alliance um die Bremer OHB-Gruppe will ab 2023 erste Raketen von einer schwimmenden Plattform zünden.

Hilfe von ganz oben

Alle Starter im Rennen um Highspeed-Internet aus dem Orbit versprechen Hilfe von ganz oben für die abgehängten Regionen der Erde. Aber ob das Ziel realistisch ist, steht in den Sternen. „Angesichts der Milliarden-Investitionen versuchen die Anbieter, so viele Nutzer wie möglich zu erreichen“, sagt DLR-Experte Hofmann. „Die Megakonstellationen haben definitiv das Potenzial, den Markt der Satellitenkommunikation auf den Kopf zu stellen. Doch in der Praxis müssen die Unternehmen erst noch zeigen, dass sie einen nachhaltigen Betrieb und einen belastbaren Businesscase aufbauen können.“

Bei einem Starter-Kit-Preis von 499 Dollar und einem Monatstarif von 99 Dollar wie bei Starlink sei eher nicht davon auszugehen, dass Menschen in ärmeren Weltregionen diese Internettarife zahlen können, sagt Politikberater Voelsen. Er gehe eher davon aus, dass lokale Anbieter mit Bodenstationen größere Gemeinschaften versorgen werden. Neue soziale Netzwerke sind dabei denkbar: So hat die Unicef die Initiative „Giga“ gegründet, um jeder Schule auf der Welt einen Internetzugang zu verschaffen.
Zudem erwarten Experten neue kommerzielle Anwendungen. Jörg Saße, Associated Partner bei MHP, sieht besonders für das Internet der Dinge neue Chancen. „IoT ist ein wunderbarer Markt für das Satelliteninternet, weil es schmalbandige und weltweit verfügbare Peer-to-Peer-Verbindung ermöglicht“, sagt Saße. „Sensoren brauchen kein Breitband, sondern wenige KBits pro Sekunde.“ Heerscharen von Robotern und Maschinen, die künftig ans IoT angeschlossen werden, können mit dem Internet from space eine eigene Anbindung erhalten. Schon heute setzen viele Unternehmen auf Satellitentechnik, etwa als unabhängige Backup-Lösungen in sicherheitsrelevanten Bereichen wie der Finanzbranche. So entstehen eine Reihe Firmen, die spezielle Konstellationen für IoT-Dienste mit kleinen CubeSats von der Größe eines Schuhkartons anbieten wollen. In München etwa plant das deutsch-chinesische Startup KLEO Connect eine Formation von 300 LEO-Satelliten mit Laserkommunikation. In Zukunft sei sogar denkbar, sagt Saße, dass Satelliten kleine Rechenzentren in sich tragen – als fliegende Datenbanken.
Neben Internet an Bord von Kreuzfahrtschiffen, Flugzeugen und Ölplattformen kann besonders die globale Transportlogistik profitieren. „Wenn man seine Antennen über die ganze Erde mitnehmen kann und nicht an ein lokal verfügbares Netz gebunden ist, ergeben sich neue Vorteile etwa bei einer lückenlosen Container-Verfolgung“, sagt DLR-Experte Hofmann. Bahnanbieter könnten ihr gesamtes Schienennetz per Satellitennetz überwachen und an schwach ausgebauten Strecken ihre Funknetze stärken. Auch das Monitoring entlegener Infrastrukturen oder Baustellen ist möglich, ebenso ein Einsatz für autonome Feldroboter in der Landwirtschaft oder bei autonom fahrenden Autos. Und nicht zuletzt hat das Militär ein gesteigertes Interesse an einer weltumspannenden Konnektivität.

Risiken und Nebenwirkungen

Die neue Netzalternative sorgt für mehr Resilienz und Sicherheit. Doch der Schwarm der Satelliten ist nicht ohne Tücken. Astronomen beklagen schon heute, dass der freie Blick ins All durch die langen weißen Lichtreihen, die das Sonnenlicht reflektieren, massiv beeinträchtigt wird. Die American Astronomical Society warnte in einem dringenden Appell, dass die Megaformationen astronomische Beobachtungen fundamental verändern und das Erscheinungsbild des Nachthimmels für Sternengucker weltweit beeinflussen.
Der Wettlauf der Satellitenstaaten mit immer mehr Flugkörpern im All könnte überdies zu einer wachsenden Ansammlung von Weltraumschrott führen. Denn LEO-Satelliten haben nur eine Lebensdauer von fünf bis sieben Jahren, dann werden sie durch die nächste Generation ersetzt. Ihre Betreiber sind zwar bereits verpflichtet, ihre ausrangierten Satelliten binnen 25 Jahren aus dem Orbit zu holen. Doch um die Umlaufbahnen nicht zu vermüllen und Kollisionsgefahren zu verringern, soll diese Zeitspanne in Zukunft verkürzt werden. „Man wird für ein nachhaltiges Management sorgen müssen“, sagt Hofmann, „damit der Weltraum für alle nutzbar bleibt.“