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expedition 2025 08.01.2018 Link: expedition2025

Freiheit für die Roboter

Schwere Roboter in engen Käfigen sind die Dinosaurier der Automobil-Industrie. Mittlerweile hält in Fabriken eine neue Spezies Einzug: Cobots. Die sensitiven Leichtbauroboter haben die Lizenz zum Fühlen, sie arbeiten ohne Schutzräume direkt mit Menschen zusammen. Stehen die Fertigungsstraßen damit vor einer neuen Revolution? Eine Entdeckungsreise in die Zukunft der Industrieproduktion – und an die Schmerzgrenze des Menschen.

1. Kapitel: Die Industrie

Auf Tuchfühlung mit sensitiven Robotern
Die Zukunft übt in einem Industriekomplex aus den 30-er Jahren: Bei ZF in Schweinfurt, Ernst-Sachs-Straße, rötliche Klinkerfassade, viele Fenster, 9000 Mitarbeiter. Im ersten Stock eines seiner Fabrikgebäude hat der Technologiekonzern sein Tech-Center Robotics eingerichtet. Dort probieren Ingenieure, was künftig alles möglich sein kann zwischen Mensch und Maschine.

Kollaborative Roboter, so genannte Cobots, haben mit der stählernen Roboter-Generation aus den 80er Jahren etwa so viel gemein wie ein Telegrafenamt mit einem Smartphone. Während die tonnenschweren, teuren Industrieroboter nur hinter Schutzzäunen stehen dürfen und Fahrzeugkarosserien herumwuchten wie Spielzeugautos, sind die flexiblen Cobots-Arme für das Zusammenspiel mit Menschen gemacht. Sie sind viel kleiner, smarter, feinfühliger. Sie sind gespickt mit Sensoren zum maschinellen Sehen, Fühlen und Tasten, ihre Software erlaubt blitzschnelle Entscheidungen und den Austausch mit der Umwelt. Zudem sind die Leichtbauroboter ein Vielfaches günstiger. In Preisklassen von 20.000 bis 30.000 Euro sind einige Modelle auch für Mittelständler attraktiv.

Im Zukunftslabor bei ZF hängt ein grau-oranger „LBR iiwa“ von Kuka an Schienen unter der Decke. Dünne Schläuche und Kabel einer Dosiereinheit begleiten den Arm. Unter ihm, auf einer stählernen Werkbank, ist eine Metallplatte mit Aussparungen in einen Schraubstock gespannt. Wenn der junge Bediener im schwarzen T-Shirt auf sein Tablet tippt, beginnen die sieben Achsen des „iiwa“ zu rotieren. Mit mechanischen Bewegungen surrt er in verschiedene programmierte Positionen. So kann er mit einer dünnen Kanüle Klebemasse in vorgestanzte Metallbahnen spritzen. Er macht das auch beim tausendsten Mal noch exakter und besser dosiert als es wohl ein Mitarbeiter könnte. Das erhöht die Qualität, spart Zeit und senkt Kosten. Zugleich wird der Mensch von unangenehmen Ausdünstungen und schmierigen Fingern befreit. Und das Kleben ist nur eine von vielen Möglichkeiten, für die solche Leichtbauroboter in Zukunft eingesetzt werden können.

So einfach wie eine Bohrmaschine
Der Robotername „iiwa“ steht für „intelligent industrial work assistant“. Er ist dank einfachster Formen der Programmierung extrem flexibel. Um seine exakte Arbeitsposition zu bestimmen, müssen nicht mehr Softwareingenieure aufwendig Daten und Koordinaten in 3-D-Modelle und Roboterprogramme mit fremden Sprachen übertragen. Es genügt, wenn ein Mitarbeiter den Roboterarm an der gewünschten Stelle positioniert und den Speicherknopf drückt. So lassen sich Leichtbauroboter binnen einiger Minuten kinderleicht für neue Anwendungen konditionieren. Wenn es sein muss, mehrmals am Tag. Mit dieser Flexibilität können selbst kleine Losgrößen und große Produktvielfalt wirtschaftlich automatisiert werden. „Uns treibt die Vision, dass ein Werker seinen Roboter wie eine Bohrmaschine mit an den Arbeitsplatz nimmt und sie sich intuitiv verstehen“, sagt Michael Heselhaus, der die Produktionstechnologie-Entwicklung bei ZF leitet.

ZF leistet sich den Luxus solcher Forschungslabore. Mit 140.000 Mitarbeitern in 40 Ländern und 36 Milliarden Jahresumsatz ist der Konzern nicht nur ein Schwergewicht der Automobilbranche. Das Unternehmen gilt auch als Vorreiter der Antriebs- und Fahrwerktechnik verschiedener Branchen von der Bahn über die Landwirtschaft bis zum Rennsport. Rund sechs Prozent seines Umsatzes wendet der ZF-Konzern derzeit für Forschung und Entwicklung von Zukunftsfragen auf, jährlich etwa zwei Milliarden Euro.

Handshake zwischen Mensch und Maschine
Die Zukunft hat bereits begonnen. „Wir haben schon erste Situationen, wo wir solche Roboter im industriellen Umfeld einsetzen“, erzählt Heselhaus. „Und wir hoffen, dass durch die Arbeiten des Tech-Center Robotics weitere Anwendungsszenarien zum Tragen kommen.“

Die Fachleute unterscheiden bei Cobots allerdings fein zwischen der Art der Kooperationen: Teilen sich Roboter und Mensch einen Arbeitsraum? Arbeiten sie gleichzeitig? Am gleichen Bauteil? Erst wenn Mensch und Roboter tatsächlich zur selben Zeit am selben Ort am selben Produkt arbeiten, gilt dies als echte Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK). „Das ist der wahre Handshake zwischen Mensch und Maschine“, sagt Heselhaus. Erreicht wird diese Königsdisziplin in der Praxis bisher nur in einigen wenigen Fällen. Im BMW-Werk Dingolfing etwa hilft ein Leichtbauroboter im direkten Zusammenspiel mit Werkern beim Fügen von Kegelrädern. Beim Anlagenbauer Dürr unterstützt ein Kuka-Roboter Facharbeiter beim Einkleben von Tanks in die Karosserie. Bei Siemens in Bad Neustadt an der Saale gibt ein „iiwa“ Werkstücke für Elektromotoren an eine Drehmaschine und an eine Mess-Station weiter. Und das Zeitalter der Cobots beginnt erst.

Feinfühligkeit für die Produktion
Die Freiheit der Roboter hat ihren Preis: Unter der obersten Prämisse, das kein Werker von spitzen, scharfkantigen oder quetschenden Bauteilen verletzt werden darf, betreiben Entwickler und Unternehmen enormen Sicherheitsaufwand. In die Roboter werden unterschiedlichste Technologien integriert – von Kameras, Scannern und Radar über Kraft- und Drehmoment-Sensoren bis hin zu sensitiven Außenhäuten, die sofort eine Kollision spüren und die Maschine stoppen. Ohnehin arbeiten Roboter im kollaborativen Modus wesentlich langsamer als ein konventioneller Industrieroboter: Statt mit mehr als zwei Metern pro Sekunde Arbeitstempo, die ein eingehauster Stahkoloss vorlegen kann, sind oft nur 0,2 Meter pro Sekunde und weniger möglich. „Trotz des langsameren Arbeitstempos sehen wir einen riesigen Vorteil in der Sensitivität dieser Roboter“, sagt Uwe Wachter, Leiter des Expertenteams für sensitive Automation bei ZF.

Gerade ihre Feinfühligkeit macht die Roboter für die Industrie besonders attraktiv. Dank ihrer sensitiven Technologien können Aufgaben an Maschinen und Anlagen, für die bisher der Mensch benötigt wird, von einem Roboter übernommen werden. „Wir nutzen genau diese Fähigkeiten, die konventionelle Roboter bisher nicht haben“, sagt Heselhaus. „Das ist für uns einer der wesentlichen Gründe, warum wir uns mit Leichtbaurobotern beschäftigen.“ Solcherart Roboter würden aber weiterhin hinter einem Zaun stehen, um mit vollem Tempo arbeiten zu können.

Vorteile für Werker
Doch bei Cobots geht es nicht zuletzt um die Menschen. Zentrales Ziel der Leichtbauroboter sei, so Heselhaus, Mitarbeiter bei schweren, ergonomisch anstrengenden, ständig wiederkehrenden oder gefahrvollen Aufgaben zu unterstützen. Die Entlastung und Gesunderhaltung der Mitarbeiter sei gerade in Zeiten des demographischen Wandels und der Alterung der Belegschaften eine wichtige Unternehmensaufgabe, betont er. Doch selbstverständlich geht es auch um ökonomische Pluspunkte: Mehr Automatisierung, höhere Effizienz, größere Flexibilität. Von Entlassungen könne jedoch keine Rede sein. „Wir sind der Überzeugung, dass sich kein Mitarbeiter Sorgen machen muss, dass er durch solchen einen Roboter ersetzt wird“, betont Heselhaus. „Vielmehr wird der Roboter – das ist der visionäre Ansatz – das Werkzeug sein, das der Mitarbeiter zukünftig zum Arbeitsplatz mitnimmt, das er selbst programmiert und das er für seine Zwecke nutzt, damit ihn der Roboter unterstützt.“

2. Kapitel: Die Forscher

Die Vermessung der Schmerzgrenze
Für den sicheren Einsatz von Cobots haben Forscher die Schmerzgrenze des Menschen neu vermessen: In einer Reihenuntersuchung an der Uni Mainz mussten 100 Testpersonen per Taster signalisieren, ab wann sie Schmerz empfinden. Dabei hat man die Probanden an 29 Körperstellen mit einem kleinen quadratischen Maschinen-Stößel mit gerundeten Kanten traktiert und ihre Reaktionszeit gemessen. Im Fraunhofer-Institut IFF in Magdeburg gingen die Studien sogar noch weiter: 45 Probanden wurden an mehreren Körperstellen mit einer Art Pendel mit verschiedenen Stößeln und zunehmender Stärke so lange gestupst, bis eine leichte Schwellung, ein leichtes Hämatom oder ein mittelstarker Schmerz auftraten. 40 Testpersonen wurden zudem mit einer langsam ansteigenden Klemmkraft gezwickt, bis ihre Schmerzgrenze erreicht war.

All dies geschah freilich unter ärztlicher Aufsicht, mit Freigabe einer Ethik-Kommission – und im Dienste des Fortschritts: Die ermittelten Grenzwerte hat die Internationale Organisation für Normung (ISO) in ihrer „Technical Specification“ veröffentlicht. Die TS 15066 legt nun exakt fest, wie hart ein Roboter zuschlagen darf – oder genauer gesagt: Den zulässigen Schmerz für das Restrisiko einer Kollision zwischen Mensch und Roboter. Damit haben Hersteller und die Industrie erstmals eine anerkannte Grundlage für die sichere Konstruktion und den Einsatz von kollaborierenden Robotern.

Fortschritte durch Forschung
Der Vormarsch der Cobots wäre wohl kaum denkbar ohne den Einfluss der Fraunhofer-Gesellschaft. Auf dem Universitätscampus in Stuttgart betreibt Europas führende Organisation für anwendungsorientierte Wissenschaft ihr zweitgrößtes Forschungszentrum mit mehr als 1700 Mitarbeitern in fünf Instituten. Darunter: Das Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, IAO, und das Institut für Produktionstechnik und Automatisierung, IPA, das zur Entwicklung und Verbreitung der Robotik und emphatischer Maschinen beiträgt.

Martin Hägele ist seit langem dabei. Der IPA-Abteilungsleiter beschäftigt sich seit 1990 mit Robotersystemen, seine Kollegen und er präsentierten schon vor mehr als 15 Jahren auf der Hannover-Messe erste Cobots für die Montage. „Robotik ohne Zäune ist ein nicht mehr aufzuhaltender Trend – die Mensch-Roboter-Kollaboration wird sich in der Industrie weiter verbreiten“, sagt Hägele. Zwar seien weltweit bisher erst geschätzte 1000 wirklich kollaborative Cobots mit menschlichen Kollegen im Einsatz, und ein beträchtlicher Teil von ihnen entstand als Pilotsystem. Doch die Vision sei klar: „Roboter werden in Zukunft am Arbeitsplatz weit intuitiver benutzt werden können, eines Tages vielleicht so einfach wie heute ein Akkuschrauber. Eine umständliche Programmierung der Roboter in der Produktion wird weit weniger notwendig sein.“

Das IAO hat auf dem Stuttgarter Campus eine große helle Cobots-Werkstatt eingerichtet. Auf einer Werkbank thront der „UR 5“ von Universal Robots. Wenn Diplom-Ingenieur Peter Rally den Leichtbauroboter antippt, beginnt der gelenkige Arm, nacheinander Flansch und Getriebe zu greifen und in das halb fertige Gehäuse einer Bohrmaschine zu stecken. Der Roboter weiß, wo welche Dinge liegen, in welcher Reihenfolge er die Teile aufnehmen und einsetzen muss. „Wir sammeln Erfahrungen, wie ein Arbeitsplatz für eine kollaborative Montage geplant und gestaltet werden muss“, erzählt Rally. Während der Roboter die immergleichen Bewegungen vollführt, könne sich der Mitarbeiter um andere Aufgaben wie die Bestückung des Arbeitsplatzes mit Material kümmern. „Der Roboter ist ein gutes Arbeitstier“, sagt Rally, „aber dumm.“

Das gilt wohl auch für den großen UR 10 schräg gegenüber. Mit ihm testet das Fraunhofer-Team, wie Mensch und Maschinen produktiv ein Ventil aus vier verschiedenen Bauteilen zusammensetzen können. Das Ziel: Alle Bauteile, egal ob Feder, Sechskantring oder Hülse, müssen für den Roboter mit demselben Greifer aufgenommen und montiert werden können. Doch speziell entwickelte sichere Werkzeuge, oft noch Einzelproduktionen von Maschinenbauern, kosteten oft noch ein Vielfaches von dem, was nicht sichere Werkzeuge aus dem Katalog kosten. Bisher würden die Automaten meist für Pick-and-Place-Aufgaben, zur Maschinenbedienung oder in der Palettierung eingesetzt, sagt Rally. Gerade bei der Automatisierung von Montagen gebe es daher noch großes Potential für Robotereinsätze. „Wir leisten Pionierarbeit besonders für kleine und mittlere Unternehmen und suchen nach wirtschaftlichen Anwendungsszenarien“, sagt Rally.

Zeitenwende in der Industriemontage
Der Maschinenbau-Ingenieur kümmert sich am IAO seit bald 30 Jahren um den Wandel von Montagesystemen und Lean Management in der Produktion. Für ihn beginnt mit dem Einzug kollaborativer Roboter eine Zeitenwende: „Die Generation der alten Produktions- und Montageplaner hat immer eingeimpft bekommen, dass man manuelle Montage und Automaten voneinander trennt. Mit der Menschen-Roboter-Kollaboration machen wir genau das Gegenteil: Wir suchen Stellen, an denen ein kollaborierender Roboter sinnvoll und wirtschaftlich eingesetzt werden kann.“

Auch wenn die Technologie grundsätzlich funktioniert – sie ist bislang noch längst nicht so verbreitet und erfolgreich, wie es der Hype in Messehallen und Medien vermuten lässt. Das Fraunhofer-Institut hat in einer Studie über 25 MRK-Anwendungen in der Industriemontage zunächst ernüchternde Ergebnisse zu Tage gefördert. „Alle Studienteilnehmer haben nicht die Wirtschaftlichkeit erreicht, die sie am Anfang geplant hatten“, erzählt Rally. „Bei allen Teilnehmern haben wir das Feedback bekommen: Es ist teurer geworden, als wir gedacht haben. Und es hat länger gedauert, als wir gedacht haben.“ Weil Unternehmen mit der Technologie noch nicht so vertraut sind, seien Entwicklungszeiten und Engineering-Kosten noch sehr hoch.

„Da ist aber eine Lernkurve zu sehen“, sagt Rally. „Die Firmen lernen jetzt alle an ihren Pilotprojekten.“ Rally ist davon überzeugt, dass eine höhere Produktivität bereits möglich ist, wenn die richtigen Vorrichtungen, Vorgänge und die Peripherie für die Roboter vorhanden sind. „Wir stehen an einer Schwelle, wo sich deutliche Verbesserungen ergeben. Die Peripherie für die neuen kollaborativen Roboter wird in den nächsten Jahren kostengünstig zur Verfügung stehen, so dass auch kleine und mittlere Unternehmen wirtschaftlich in diese Technik einsteigen können.“

Wie Roboter ihre Kollegen gesund erhalten
Warum aber wird die Mensch-Roboter-Kollaboration überhaupt vorangetrieben? „Wirtschaftlichkeit ist immer ein wesentliches, aber kein ausschließliches Ziel“, betont Rally. Es gehe tatsächlich um körperliche Entlastung der Mitarbeiter angesichts des demographischen Wandels. Die Mitarbeiter blieben länger gesund, wenn sie ungünstige Körperhaltungen und monotone Tätigkeiten nicht mehr Hunderte Mal am Tag wiederholen. In der Automobilindustrie etwa, wo Werker in ungünstigen Körperhaltungen Montagvorgänge ausführen müssen, könne ein Roboter vielleicht in der Karosserie arbeiten oder dem Facharbeiter Bauteile anreichen. Zudem arbeiten Roboter genauer, auch bei ständiger Wiederholung. Der Wunsch nach höherer Qualität und weniger Ausschuss, so Rally, seien daher wichtige Motoren der Entwicklung. Personalabbau fürchtet Rally auch beim Einzug der Roboter nicht: „Wir haben in Deutschland trotz steigender Automatisierung immer ein hohes Beschäftigungsniveau gehalten.“ Philosophie des Instituts sei es vielmehr, Mitarbeitern zu vermitteln, dass es um die Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens gehe. „Produktivitätssteigerungen gab es immer, aber die Arbeitsplätze sind dennoch erhalten geblieben.“ Die Mensch-Roboter-Kollaboration sei im besten Fall sogar eine Chance, Jobs aus Billiglohnländern zurück nach Deutschland zu holen.

Noch bis 2019 sucht das Fraunhofer-Institut im Forschungsprojekt „Rokoko“ nach Anwendungs-Möglichkeiten für die Mensch-Roboter-Kollaboration. Mit dabei sind Industriepartner wie Zulieferer ZF, Schunk als preisgekrönter Experte für Greifsysteme, Elektrowerkzeugbauer Metabo und der Kuka-Partner MRK-Systeme. Es geht um Gestaltung und Organisation von Arbeitsplätzen, Qualifizierung, Wirtschaftlichkeitsberechnungen und einfache Programmierungen für die Anwender. „Bisher war eine Automatisierung für kleine und mittlere Unternehmen wegen der geringen Stückzahlen und der hohe Varianz der Produkte nicht wirtschaftlich“, sagt Rally. „Mit den Leichtbaurobotern ändert sich das Bild – sie heben eine ganze Reihe früherer Einschränkungen auf.“

3. Kapitel: Die Hersteller

Start-ups als Wegweiser für Konzerne
Mit dem allmählichen Einzug in die Industriemontage verändern Cobots nicht nur die Produktionsbedingungen – ihre Entwicklung und Fertigung selbst hat sich zu einem dynamischen Milliardenmarkt mit zweistelligen Zuwachsraten entwickelt. Nach Zahlen der „International Federation of Robotics“ (IFR) werden allein bis 2020 mehr als 1,7 Millionen neue Industrieroboter in den Fabriken der Welt installiert – ihr globaler Bestand verdoppelt sich damit auf mehr als drei Millionen. „Das rasant wachsende Modellangebot erweitert die Einsatzmöglichkeiten und gibt Unternehmen aller Größen die Chance, zu automatisieren“, sagt IFR-Präsident Joe Gemma. Parallel gehen weitere Studien davon aus, dass vor allem die kooperativen Roboter einen immer größeren Bereich des Robotik-Marktes ausmachen werden: Schon bis 2020 könnten jährlich 40 000 Cobots verkauft werden.

Kein Wunder also, dass sich in der wachsenden Cobot-Branche inzwischen eine ganze Reihe Anbieter tummeln. Dabei sind es vor allem kleine Start-ups, die großen Technologiekonzernen den Weg weisen. Internationaler Platzhirsch der Branche ist nämlich nach wie vor ein Start-up aus dem dänischen Odense: Universal Robots (UR). Der Pionier aus der süddänischen Universität hatte 2008 seinen Prototypen flexibler Roboterarme präsentiert – und bestimmt bis heute den Großteil der verkauften Cobots. Mittlerweile sind nach Firmenangaben rund 19 000 ihrer Roboter weltweit im Einsatz. Nicht umsonst schlug 2015 der amerikanischen Technology-Konzern Teradyne in Dänemark zu – und kaufte die Firma auf.

Doch auch in Deutschland – immerhin fünftgrößter Robotermarkt der Welt und der mit Abstand größte Robotik-Nutzer in Europa – wird die Cobots-Entwicklung maßgeblich mit bestimmt. Hierzulande ist die Branche vor allem mit einem Namen verbunden: Kuka. Die führende Roboter-Schmiede aus Augsburg hat mit seinem Leichtbauroboter „iiwa“ einen vielseitigen MRK-Roboter für diverse Industrie-Anwendungen entwickelt, der mit intelligenter Steuerungstechnik, hochsensiblen Sensoren und moderner Softwaretechnologie ausgestattet ist. Dafür arbeitet Kuka eng mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt zusammen, einem Hotspot für Roboterwissenschaften in Europa –und eine Technik, die auch Chinesen begeistert: Ende 2016 kaufte Midea, ein Konzern für Haushaltsgeräte und Klimaanlagen aus der südchinesischen Metropole Foshan, den deutschen Roboterbauer für beinah fünf Milliarden Euro auf. Der Deal gilt als die bisher größte Firmenübernahme aus China in Europa.

Von dem Engagement lassen sich andere deutsche und internationale Konzerne aber nicht von ihrem Weg anbringen. Sie treiben weiter ihre eigenen Konzepte voran, wie zum Beispiel Bosch seinen berührungslos kollaborierender Roboter „APAS assistant“. Er gehört zu einer ganzen Familie von Industrie 4.0-Lösungen, die Bosch beständig weiterentwickelt, und die bereits in der Automobilbranche einige Verbreitung finden. Doch die Konkurrenz ist mittlerweile groß. In einer Datenbank der Stuttgarter Fraunhofer-Forscher stehen bereits 58 unterschiedliche Cobot-Modelle diverser internationaler Hersteller. Zu ihnen gehören der zweiarmige „YuMi“ von ABB aus der Schweiz, „Sawyer“ und „Baxter“ vom amerikanischen Start-up „Rethink Robotics“ aus Boston und die Entwicklungen japanischer Konzerne wie Yaskawa Denki und Fanuc sowie Kawada Industries.

Ein Roboter für jedermann
Ein weiteres Enfant terrible, das die Branche der Großen aufmischt, ist auch das Münchner High-Tech-Start-up Franka Emika. Für seinen „Panda“ wurde der Hannoversche Professor Sami Haddadin Ende 2017 mit dem Deutschen Zukunftspreis des Bundespräsidenten ausgezeichnet. Der „Panda“ ahmt sogar Bewegungen durch einfaches Vormachen nach. Der Nutzer – egal, ob in einer großen Fabrikfertigung oder einer kleinen Werkstatt – startet einen Aufnahmeknopf und führt den Roboterarm dann in der gewünschten Bewegung. Danach kann er die aufgezeichnete Bewegung beliebig oft abspielen. Über die Cloud kann der Ablauf auch auf andere „Pandas“ übertragen werden, erklärt eine Sprecherin. Der Roboter reproduziert sich derzeit in einem Betrieb im Allgäu weitgehend selbst – nur etwa 40 Beschäftigte unterstützen die Produktion. „Der Panda ist der Roboter für jedermann, weil ihn jeder benutzen kann“, sagt Haddadin. Dieser Anspruch gilt auch für den Preis: Das einfache Industriemodell ist bereits ab 9900 Euro erhältlich, Applikationen und Apps kosten allerdings mehrere Tausend Euro extra.

Für Forscher Sami Haddadin ist die Interaktion von Mensch und Roboter die zentrale Vision für die zukünftige Robotik. Die Mensch-Roboter-Kollaboration, sagt er, sei der Grundstein für eine industrielle Fertigung von morgen.

Cobots stehen an der Schwelle zu einer neuen industriellen Revolution. Bisher mussten gewaltige Roboter in Käfigen abgeschirmt werden, Spezialisten mussten sie für eine einzige Aufgabe umständlich programmieren. Mit der neuen, kinderleicht zu steuernden Maschinen-Generation können Menschen und Roboter Hand in Hand arbeiten und kommunizieren. Die preisgünstigen, sicheren Leichtbauroboter können Mitarbeiter bei belastenden Tätigkeiten unterstützen und die Produktivität der deutschen Industrie weiter erhöhen. Ihr Durchbruch ist nur noch eine Frage der Zeit.