zum Inhalt springen

expedition 2025 02/2021 Link: expedition2025

Finance drives future

Alternative Antriebe, autonomes Fahren, Konnektivität im Cockpit: Die Autoindustrie durchläuft einen rasanten Wandel mit Milliarden-Kosten. Im Fahrtwind der Innovationen verändern auch CFOs ihre Rolle und avancieren zu neuen Treibern der Transformation. Doch wie gestalten sie ihre neue Aufgabe im Führungsteam? Und welche Skills müssen sie dafür mitbringen? Einblick hinter die Kulissen.

Auf einem Stapel Europaletten hockt lässig ein Mann im schwarzen Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, er trägt Jeans und Sportschuhe und referiert über den Wert von KI für die Autoindustrie. Das Bild des Vorstands für Finanzen und IT der Porsche AG, Lutz Meschke, illustriert auf einen Blick die neue Rolle von CFOs in Unternehmen: Die Hüter der Budgets und Bilanzen treten aus dem alten Schatten der Zahlenwelt, sie werden heute zu Gestaltern einer neuen mobilen Zukunft. In den Vorständen der Unternehmen sind sie mehr denn je gefordert, die rasend schnelle Transformation ihrer Branche mitzugestalten, ja, zum Treiber von strategischen Weichenstellungen, Innovationen und Investitionen zu werden.

Vom Bremsen und beschleunigen – der Finanzvorstand als CPO

„Das alte Bild des CFOs verblasst“, sagt Marco Reimer, Leiter des Instituts für Management und Controlling der WHU-Otto Beisheim School of Management in Vallendar am Rhein. Er erforscht den Einfluss von Topmanagern und deren Rollenverteilung in Führungsetagen, der Professor ist ein Seismograf für Machtveränderungen in Vorständen und hat einen klaren Bedeutungszuwachs festgestellt: Ein Finanzvorstand sei heute viel stärker mit Transformationsprozessen betraut als noch vor ein paar Jahren. „Er wird nicht mehr nur als derjenige wahrgenommen, der im Maschinenraum sitzt, den Annual report erstellt und Gelder für Investitionen bereitstellt. Er ist auf dem besten Weg zu einer Art Chief Transformation Officer oder Chief Performance Officer.“

Sichtbar sei die größere Verantwortung in den USA schon seit den Finanzskandalen von Enron, Worldcom und Co: Seinerzeit wurde im legendären Sarbanes-Oxley-Act verfügt, dass Bilanzen und Abschlüsse neben dem CEO auch der CFO gegenzeichnen muss. Die neue Positionierung zwischen traditionellen Finanzaufgaben und strategischen Herausforderungen verlange dabei allerdings auch eine neue Beidhändigkeit der CFOs: Die Fähigkeit, zugleich effizient und flexibel zu sein. „Es geht um ein tieferes Verständnis des Geschäftsmodells“, sagt Forscher Reimer. „Woher kommt unser Erfolgsbeitrag? Und wie können wir neue Geschäftsfelder erschließen?“

„Neue Wettbewerber warten nicht“

Ein innovatives Rollenverständnis von CFOs ist für Marc Zimmermann, zweiter Geschäftsführer der Management- und IT-Beratung MHP, in Zeiten des Wandels ein Schlüssel zum Erfolg. „Die Brille des Finanzvorstandes muss stärker in die Zukunft gerichtet sein“, sagt Zimmermann, der selbst bei MHP die Bereiche Finanzen, IT und Qualität verantwortet. „Bei aller berechtigten Orientierung auf Risiken und Bilanzen darf ein CFO heute nicht mehr nur auf der Bremse stehen – er muss auch Vollgas geben können.“ In einer Phase der Transformation gehe es weniger um Kategorien von Effizienz und Lean Management ausgereifter Geschäftsmodelle, sondern vor allem um Tempo. „Wer mit einer alten Effizienz-Denke an neue Themen herangeht, verliert zu viel Zeit“, sagt Zimmermann. „Neue Wettbewerber denken an Speed, an First-to-Market, an scale. Sie warten nicht.“ Dem CFO komme dabei die schwierige Aufgabe zu, nicht nur an strikte Wirtschaftlichkeit und Risikominimierung zu denken, sondern auch neue Potentiale zu erkennen und Chancen zu ergreifen. Für den Vize-Geschäftsführer steht fest: Ein CFO muss sein Business, seine Branche und die Potenziale neuer Technologien verstehen. „Er muss im Führungsteam unternehmerisch und vernetzt denken und einen Beitrag dazu leisten, neue Services, neue Produkte und neue Geschäftsfelder mit zu entwickeln.“

Von Shanghai bis Atlanta – die Dynamik wächst

Im gläsernen Office Tower 3 am Lujiazui Financial Plaza, Shanghai, hat Porsche China seit 2019 seinen Sitz. Ein Headquarter im Wolkenkratzer. Auch hier im fortschrittlichen Businessviertel Pudong spielen CFOs eine neue Rolle. „In Zeiten des Umbruchs“, sagt Finanzvorständin Sheng Tantzscher, „müssen wir zusammen mit dem CEO stark in die Entwicklung neuer Geschäftsstrategien eingebunden sein, nachhaltig profitable Geschäftsmodelle entwickeln und rasch den finanziellen Wert neuer Geschäftsmodelle evaluieren können.“ Wenn laufend neue Wettbewerber auftauchen, mit neuen Technologien, neuen Vertriebsmodellen oder neuen digitalen Berührungspunkten mit den Kunden, müssen sie von den CFOs gestandener Hersteller auf ihre Tauglichkeit hin geprüft werden. „Wir müssen“, sagt Tantzscher, „wie Entrepreneure auch Möglichkeiten für das Umsatzwachstum ausloten.“
Im 14 Flugstunden von Shanghai entfernten Atlanta ist die neue Lotsenfunktion ebenso deutlich zu spüren. Thierry Kartochian, seit 2010 verantwortlicher Executive Vice President von Porsche Cars North America, erlebt heute seinen Job anders als noch vor einigen Jahren. „Die Herangehensweise ist dynamischer geworden“, sagt Kartochian. „Natürlich sind wir weiter für Kerntätigkeiten wie Budgetierung und Forecasting zuständig und müssen die Liquidität und Profitabilität des Unternehmens gewährleisten. Aber ich verstehe mich heute als ,trusted advisor‘, als strategischer Geschäftspartner meiner anderen Kollegen, des Präsidiums und der gesamten Organisation.“

Daten, Daten, Daten – die neue Königsdisziplin

Getriggert und ermöglicht wird der Rollenwechsel nicht zuletzt durch die Chancen digitaler Datenanalysen, der Künstlichen Intelligenz und des Predictive Planning, die das Finanzwesen revolutionieren. So kommt es, dass viele CFOs heute zugleich als CIOs die IT-Struktur eines Hauses mitgestalten. So bekommen sie die Hebel in der Hand, um Transformationsprozesse umzusetzen. Für Thierry Kartochian in Atlanta ist die Digitalisierung der Vorstandsprozesse bereits Realität. „Ich habe längst mehrere Hüte auf“, sagt er. „Ich spiele eine aktive Rolle bei der Definition der für unsere Zukunft wichtigen IT-Strategie.“ Sheng Tantzscher in Shanghai erlebt dabei, dass fortschrittlichste Technologien wie KI, Machine Learning und Robotic-Process-Automation immer näher an die CFOs heranrücken. „CFOs müssen interne Anbieter von Echtzeitdaten sein“, sagt die ambitionierte Finanzchefin. „Sie müssen in der Lage sein, eine wichtige Rolle beim Wandel des Unternehmens in eine datengesteuerte Organisation zu übernehmen.“ Tatsächlich zeigen in Studien befragte CFOs einen klaren Trend auf: Bis 2025 werden Datenanalysen, datengestützte Strategieberatung und neue digitale Lösungen zu Königsdisziplinen der Ersten Offiziere.

Teamgeist und Leidenschaft – eine andere Leitkultur

Experten und Insider sind sich bei diesem Wandel einig: Je mehr die Komplexität und die Verantwortung zunehmen, umso mehr sind auch kommunikative Skills gefordert. „In der Transformation sind wir stärker denn je darauf angewiesen, eng im Team zusammenzuarbeiten“, sagt Marc Zimmermann. „Finanzvorstände müssen starke Kommunikatoren sein und mit dem CEO ein konstruktives Klima erzeugen. Entscheidungen müssen mit dem Business getroffen werden – und nicht gegen das Business“, sagt Zimmermann. „In der Transformation bleibt keine Zeit, sich intern aufzureiben. Der Wettbewerb findet im Markt statt – nicht im eigenen Haus.“

Die neue Leadership-Rolle verlangt von den Finanzvorständen auch einen stärkeren, leidenschaftlichen Außenauftritt mit technologischen Innovationen und Digitalisierung. „Ein CFO muss parkettsicher sein und eine Story an den Kapitalmarkt tragen können“, sagt Managementprofessor Reimer. „Unternehmen werden zunehmend mit Gesichtern verbunden.“ Je mehr allerdings ein Vorstand die offene Bühne betritt, umso mehr braucht er auch ein starkes Team von Experten in der zweiten Reihe. Studien haben gezeigt, dass die Zahl der Personen, die direkt an den CFO berichten, stetig zunimmt. Damit muss der CFO zugleich ein guter Teamleader sein und die besten Talente um sich scharen. „Ein Finanzvorstand“, sagt Reimer, „muss Menschen mit auf eine Reise nehmen, deren Ziel noch vage ist.“