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FOCUS Business 01.02.2017 Download PDF

PORSCHE STATT PÖKELFLEISCH

Vorwärtskommen? Aufsteigen? Karriere schreiben? Bewegung im Berufsleben ist im 21. Jahrhundert auch anders möglich. Wer unglücklich in seinem Job ist, wechselt einfach. Die Chancen standen lange nicht so gut

Im Leipziger Porsche-Werk, mit mehr als 4000 Mitarbeitern größter Produktionsstandort des Konzerns, leitet Ingo Deutsch das Messteam für den Panamera. Ein hochspezialisierter Job – und für Deutsch ein kompletter Jobwechsel. Der 32-Jährige ist gelernter Metzger. „Seit ich sieben war, wollte ich Fleischer werden“, erzählt Deutsch. Nach der Realschule lernte er in einem Handwerksbetrieb, Wurst und Fleisch herzustellen. Als Geselle lernte er das Schlachten. Es hätte ein Leben lang so weitergehen können. Doch alles kam ganz anders.

Deutsch gehört zu jenen, die irgendwann in ihrem Berufsleben innehalten, sich umdrehen, sich hinterfragen – und den Absprung aus ihrem alten Job wagen. Sie sind vielleicht nach der Schule in die falsche Branche geschlittert, haben familiäre, gesundheitliche oder ganz persönliche Umbrüche durchlebt. Sie wollen schlicht mehr Geld verdienen oder ihr Hobby zum Beruf machen.

Auf dem modernen Arbeitsmarkt sind solche Jobwechsler keine Seltenheit mehr – und zugleich Beleg sich wandelnder Werte. Eine schnelle, steile Karriere verliert an Bedeutung, Inhalte und Privatleben werden wichtiger. Die Bereitschaft, sich örtlich von der Familie zu trennen, nimmt seit Jahren stark ab, wie das Managerbarometer der Personalberatung Odgers Berndtson zeigt. Dieser Stimmungswandel bildet das Grundrauschen für die wachsende Lust am Umstieg. Auch in Unternehmen steigt die Bereitschaft, solche Wanderarbeiter zu fördern.

„Der Fachkräftemangel macht Unternehmen erfinderisch“, sagt Holger Seibert, Wissenschaftler am Berliner Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. „Personalabteilungen lassen sich zunehmend auch auf artfremde Berufe ein und nehmen dafür eine etwas längere Einarbeitungszeit in Kauf.“ Berechnungen über Ausbildungsabsolventen zeigten, dass etwa ein Viertel von ihnen beim Berufseinstieg nicht im erlernten Beruf arbeitet, so Seibert. Es sind Leute wie Ingo Deutsch.

Dem Metzger machte bei der feuchten, kalten und harten Arbeit zunehmend sein Rheuma zu schaffen. Als er sich auch noch beim Schlachten in die Hand sticht, beginnt er, Auswege zu suchen. In einem Berufsförderungswerk entdeckt er im Alter von 23 Jahren die Ausbildung zum „Qualitätsfachmann Längenmesstechnik“ – und meldet sich zur Umschulung an. „Ich war schon immer handwerklich begabt“, sagt er. Als Jahrgangsbester landet Deutsch 2012 im Leipziger Porsche-Werk. Er wird als Messtechniker für den Macan engagiert, zunächst als Leiharbeiter. Schon bald stellt ihn das Unternehmen ein und investiert mehr als zwei Jahre in seine weitere Qualifizierung.

Heute organisiert Deutsch als Teamsprecher die Analysearbeit von 15 Kollegen im Messraum für den Karosseriebau und sichert die hohe Qualität der Sportlimousinen. „Meine beiden Berufe“, sagt er, „haben viel mit Zielstrebigkeit, Verantwortungsgefühl und Qualitätssinn zu tun.“

Solche Eigenschaften von Quereinsteigern schätzen Personalverantwortliche. „In der Produktion und der Qualitätssicherung haben wir Querschnittsaufgaben, die man nicht als Lehrberuf findet“, sagt Grit Schöbel, die Leiterin des Personalmanagements bei Porsche Leipzig. Für sie zählen bei der Bewerbersuche grundlegende Skills: ein gutes technisches Verständnis, Geschicklichkeit, Leidenschaft für Autos, Ausdauer, Verantwortungsbewusstsein und Teamgeist. Gerade bei Quereinsteigern seien solche Vorzüge häufig zu finden.

„Sie haben berufliche Erfahrungen und sind besonders hoch motiviert, denn sie haben viel in ihren Neuanfang investiert“, sagt Schöbel. „Unsere produktionsspezifischen Kenntnisse satteln wir dann in Qualifizierungsmodulen stufenweise auf.“ So kommt es, dass heute auch eine gelernte Konditorin in der Lackiererei arbeitet. Und eine ehemalige Bundeswehr-Angestellte im Werkslabor Rohkarosserien untersucht.

„Die Arbeitswelt“, beobachtet Kienbaum-Personalberater Arndt Masuch, „wird offener und flexibler.“ Manager seien aufgeschlossener für ungewöhnliche Personalvorschläge. „Menschen, die sich beruflich verändern, bringen Flexibilität, Lernbereitschaft, Demut und zugleich Selbstbewusstsein mit“, so Masuch. „Von diesen Stärken und der Andersartigkeit möchten Arbeitgeber profitieren, die auf Vielfalt statt Einfalt setzen.“

Für ein Jobangebot an Berufswechsler braucht es allerdings Mut auf allen Seiten: Headhunter mit Erfahrung, die sich ungewöhnliche Kandidatenvorschläge zutrauen, und Personaler, die sich nicht bei allen geforderten Skills voll absichern wollen. Masuch, 45, kennt das: Er selbst hat Pädagogik studiert und war lange Zeit mit Leib und Seele Sozialarbeiter, ehe er zu Kienbaum wechselte. „Früher hätte ich mir nicht vorstellen können, zum Schlipsträger zu werden“, sagt der heutige Direktor und Partner des Beratungskonzerns.

Maike Brunk steht an den Hamburger Landungsbrücken. Wind pfeift durch ihre vollen blonden Haare, mit einem herzlichen Lächeln begrüßt sie ihre Passagiere auf einer historischen Barkasse. In ihrem ersten Leben war die 45-Jährige IT-Beraterin, doch vor zehn Jahren warf sie die alte Karriere über Bord und fing etwas ganz anderes an: Schiffstouren im Hamburger Hafen. Es ist die Geschichte einer erfüllten Sehnsucht. „Ich habe den Neuanfang noch keinen Tag bereut“, sagt Brunk.

Jahrelang beriet die studierte Wirtschaftsinformatikerin Firmen zu Dokumenten-Management und Prozessoptimierung. Ohne überbordende Leidenschaft allerdings. „In die Branche bin ich eher reingeschlittert und dort hängen geblieben“, sagt sie. Den entscheidenden Impuls, mit dem bisherigen Job Schluss zu machen, bekommt sie bei einer Fernsehreportage. Als sie eine ehemalige Krankenschwester sieht, die heute als Hochseekapitänin Frachtschiffe über die Weltmeere steuert, denkt Brunk: „Ich kann auch was anderes.“

Neben der Arbeit beginnt sie ein Fernstudium für Tourismusmanagement. Als sie nach zwei Jahren fertig ist, sitzt sie zufällig auf einem Dampfer mit dem Kapitän zusammen und erzählt davon, wie unglücklich sie ist. Die beiden spinnen ein wenig herum, von Elbtouren in Hamburger Gegenden, die sonst keiner besucht. „An diesem Abend“, sagt sie, „hat es Klick gemacht.“

Sie schreibt einen Businessplan für ihre kleine, feine Nische und rechnet richtig. Mittlerweile hat Brunk mehr als 35 000 Gäste begleitet, als Stadtführerin, Hafenguide und Reiseleiterin. „Ich kann gut von meinem Projekt leben“, sagt sie. „Ich bin angekommen an den Landungsbrücken und in meinem neuen Leben.“

Uta Glaubitz hat Brunk auf ihrem Weg begleitet. Seit 20 Jahren berät sie Menschen, die eigentlich etwas anderes machen wollen als das, was sie tun. „Viele sind so hineingeraten, wollten das nur ein oder zwei Jahre machen und finden dann keinen Ausstieg mehr“, sagt Glaubitz. „Kommen dann noch Kinder oder ein Bauernhaus am Stadtrand dazu, werden die Mauern immer höher – und ein alter Berufswunsch bleibt ungelebt.“ Diese Sehnsucht gebe es bei fast allen Menschen, doch nur bei manchen wird sie sichtbar.

Der typische Fall weiß gar nicht, was er will, erzählt die Beraterin. „Die Leute sagen, sie möchten etwas Sinnvolles tun. Dann antworte ich: ,Sinnvoll ist Busfahrer.‘“ Das klingt hart. Aber ein Berufswechsel, wenn er ernst gemeint ist und das übrige Leben tragen soll, habe selten etwas mit Bücherschreiben und Schafezüchten zu tun.

Glaubitz’ oberstes Gebot für Seitenwechsler lautet vielmehr: Such dir einen qualifizierten Beruf, um dein Geld zu verdienen. Ein Jobwechsel funktioniere selten ohne lange Vorbereitung. „Die Betonung liegt auf Beruf – nicht auf Traum.“ Wer wirklich seinen Job austauschen wolle, müsse vor allem bereit sein, das Alte loszulassen. „Die meisten Menschen müssen sich klarmachen, dass sie dazu nicht ohne Weiteres in der Lage sind“, sagt Glaubitz. Auch bei ihr war es anders gekommen als gedacht. „Anfangs wollte ich Studenten beraten“, erzählt sie. „Aber es kamen ständig Leute zu mir, die schon einen Beruf hatten.“

Zu ihnen gehörte Gabriele Braun. Die Frau war Top-Managerin in zwei Dax-Konzernen, aber sie war nicht glücklich an der Spitze der Hierarchien, in einer Welt voller Assistentinnen,Reisen, Interviews und 16-Stunden-Tagen. Sie wollte lieber etwas mit ihren Händen machen, kreativ sein. Mode vielleicht. Nach ein paar Stunden mit Beraterin Glaubitz fährt sie in einen Schuhladen in Berlin und lässt bald darauf ihre Aussicht auf einen Vorstandsposten sausen. 2014 beginnt sie eine Ausbildung zur Schuhmacherin von der Pike auf. Seit vergangenem Jahr ist die 52-Jährige Partnerin der exklusiven Maßschuhmacherei Hennemann und Braun im Prenzlauer Berg und managt das kleine, feine Geschäft, wenn sie sich nicht gerade in Leisten und Leder vertieft.

„Die Welt des Handwerks“, sagt sie heute, „ist viel natürlicher als das Spiel der Macht. Was ich finanziell verloren habe, bekomme ich dreifach an Lebensqualität zurück.“