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ÖKO-TEST Magazin 01.12.2019 Link: oekotest.de Download PDF

Stolze Bauernkinder

Sie stammen aus der Landwirtschaft und sie wollen reden: über Klischees, Schimpfworte und die Werte der Konsumgesellschaft. Deshalb haben sie angefangen, T-Shirts, Hoodies und Taschen zu bedrucken, mit einem einfachen Aufdruck: Bauernkind. Die Öko-Klamotten verkaufen sich wie geschnitten Brot.

Demonstrativ zieht der Kollege im Laufe des lauen Abends einen Pullover über und grinst. Auf seiner Brust steht in großen Lettern: bauernkind. Das Gespräch, das dann entsteht, ist voller Entdeckungen: Ja, auch er ist ein Bauernkind. Ja, seine Eltern hatten einen Hof. Ja, sein älterer Bruder führt den Betrieb heute fort. Und den Pulli hat er nicht etwa selbst gestaltet, sondern im Internet bestellt. Dahinter steht die nächste Überraschung: Eine Gruppe Göttinger Landwirtschaftsstudenten hat das Label „Bauernkind“ erfunden und voriges Jahr auf den Markt gebracht. Sie sind Überzeugungstäter und sie haben Erfolg: Mehrere Tausend T-Shirts, Hoodies und Taschen haben sie binnen eines reichlichen Jahres schon verkauft.

Wenige Tage später erzählt Lukas Meyer-Tonndorf die Geschichte, die hinter dem Pullover steckt. Der 26-Jährige ist einer der fünf Gründer von „Bauernkind“. Die Jungs-Clique hat sich im Studium der Agrar- und der Forstwissenschaften in Göttingen kennengelernt und ist seither gut befreundet. Sie wohnten in WGs zusammen und sie wollten ihr Gemeinschaftsgefühl ausdrücken. Einer von ihnen zeichnet also das erste Bauernkind-Logo, das sich der Freundeskreis auf T–Shirts drucken lässt. Es ist Jost Teepker, ein echtes Bauernkind. Seine Familie hat einen Hof im Emsland. „Als wir die T-Shirts an der Uni getragen haben, haben uns ständig Leute darauf angesprochen“, erzählt Lukas Meyer-Tonndorf. „Das ist cool“, haben sie gesagt und wollten wissen, was der Aufdruck soll. „So sind wir mit vielen Kommilitonen ins Gespräch gekommen, die nichts mit Landwirtschaft zu tun haben.“

Nicht jammern, sondern etwas tun

Die nächste Initialzündung für das Projekt ist ein Fernsehbeitrag zur Grünen Woche in Berlin Anfang 2018. Die ARD berichtet über Mobbing und Ausgrenzung von jungen Leuten, die vom Bauernhof stammen. „Als wir das gesehen haben, haben wir gesagt: Was soll der Quatsch? Wir sind stolz, dass wir vom Land kommen“, erzählt der 26-Jährige. Er ist in einem Dorf bei Lüdenscheid aufgewachsen, hat schon als Kind auf dem Milchviehbetrieb der Nachbarn geholfen und gejobbt. Tiere füttern, Gülle fahren. Die Studenten nervt es, wenn Landwirte an den Pranger gestellt und Kinder aus Bauernfamilien gemobbt werden. „Menschen wenden sich ab, Kinder werden ausgeschlossen“, sagt Lukas Meyer-Tonndorf. Also beschließt die Clique, nicht zu jammern und zu meckern, sondern etwas zu unternehmen. Eine Idee und ein Logo haben sie schon. Nun gründen sie eine kleine Firma und lassen ihre Wort-Bild-Marke schützen. Sie lassen ihre „bauernkind“- T-Shirts in größerer Stückzahl drucken und veranstalten Fotoshootings mit Kommilitonen. Im Frühjahr 2018 geht ihr Onlineshop ans Netz. „Anfangs hatte ich Sorge, dass ich mein Leben lang diese Klamotten auftragen muss“, erzählt der junge Gründer. Aber es sollte anders kommen. Die Ware geht seither weg wie warme Semmeln. Und es kam noch der Spruch „vom land“ als Motiv hinzu.

Ausdruck eines Lebensgefühls

Die Kunden tragen ihre neuen Kleider mit breiter Brust, sie posten ihre Bilder in sozialen Medien. Bauernkind macht bundesweit die Runde. „Unsere Produkte kauft man nicht, weil man grad einen Pullover braucht. Sie sind ein Statement und Ausdruck eines Lebensgefühls“, sagt Lukas Meyer-Tonndorf. „Die Idee lebt davon, dass es ein Gemeinschaftsprojekt ist.“ Die Gründer werden in Talkshows und zu Veranstaltungen eingeladen, bei der Deutschen Landjugend ebenso wie beim niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD). Genau das ist ihr Ziel: Dass die Leute miteinander reden, sachlich und fachlich über Landwirtschaft und über die Konsumgesellschaft. Damit ,Du Bauer!’ kein Schimpfwort mehr ist.
Mittlerweile sind mehrere Tausend T-Shirts, Pullis und Taschen verkauft. Die Kunden sind nicht nur junge Leute, sondern auch Landwirte der älteren Generation – bis hin zu 70-Jährigen, die das Projekt unterstützen wollen. Dabei legen die Bauernkinder Wert auf einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck. „Unsere Klamotten werden aus ökologischer Baumwolle gefertigt, sie sind FairWear und vom Global Organic Textile Standard zertifiziert“, betont Lukas. „Der Recycle-Polyester in den Hoodies war zuvor als Plastikflasche auf der Welt unterwegs.“

Bestellungen sogar aus Neuseeland

Inzwischen haben die meisten Gründer ihr Studium abgeschlossen, sie arbeiten auf dem familiären Hof oder in anderen Landwirtschaftsbetrieben. Daher kann auch nur alle paar Wochen in Wellen bestellt werden. Wenn die Ware kommt, räumt die Gruppe eine Maschinenhalle leer, ruft den Freundeskreis zusammen und packt einen Tag lang alle Pakete von Hand, bevor sie auf die Reise gehen. Die Kunden ordern nicht nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz, sondern sogar in Neuseeland. Nach jeder Bestellwelle fragt sich das Team, ob nicht langsam alle Interessenten ein T-Shirt haben. Aber bisher, sagt Lukas Meyer-Tonndorf, wurde in jeder Runde mehr verkauft.