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Sächsische Zeitung 10.12.2018 Link: saechsische.de Download PDF

Kohlenpeter und das Glück

Peter Bosse ist einer der Letzten seiner Art: Er liefert Briketts für Ofenheizungen. Sein Vater war Musiker am Gewandhaus. Doch seine Arbeit liebt er über alles.

Peter Bosse steht am Ende eines rumpelnden, blauen Förderbands auf dem Brennstoffhof bei Grimma. Ware nachladen. An der Schütte lässt er die schwarzen Kohlenklumpen in alte Jutesäcke purzeln und schiebt sie von der Laderampe in den Bauch seines alten grünen Lkws. 70 Säcke insgesamt. Dann bringt ein Gabelstapler noch palettenweise Kaminbriketts. Bosse trägt eine karierte Fleecejacke und alte Jeans, Gesicht und Hände tragen Ruß. Alle nennen ihn nur den „Kohlenpeter“ – er sich selber auch. Er ist einer der letzten Kohlenmänner in Sachsen. Zu DDR-Zeiten wurden noch viele Wohnungen mit Öfen gewärmt, doch die Kohle stirbt aus. Ihr Anteil an den Wohnungsheizungen in Deutschland liegt mittlerweile unter einem Prozent. Plackerei, Ruß und Asche sind den Menschen zu lästig geworden.

Keiner weiß das so gut wie Peter Bosse. Früher, Ende der 1970er-Jahre, als er das Geschäft mit der Kohle in Leipzig-Connewitz kennenlernte, brauchte er nur um die nächste Ecke zu fahren, da belieferte er 25 Kunden am Tag. Heute muss er kreuz und quer durch Sachsen kurven. Hunderte Kilometer jeden Tag. Das halbe Land ist sein Kohlerevier – auch wenn die Union-Briketts gar nicht aus Sachsen, sondern aus Frechen im Rheinland kommen.

An diesem Herbstmorgen war der Kohlenpeter schon einmal beim Brennstoffhandel in Grimma. Der Betrieb mit dem lustig gemeinten Namen „Kohlen Sparen“ ist mit 14 Mitarbeitern der wohl größte Händler seiner Art in Sachsen. Er zählt noch 1 500 bis 2 000 Privathaushalte zu seinen Kunden, dazu die Sächsische Dampfschiffahrt und die Parkeisenbahn in Dresden, die Harzer Schmalspurbahnen und die Döllnitzbahn, Bauern und Gärtnereien, Kalkwerke und Kunstschmieden. Vormittags hat der Kohlenpeter schon nach Weinböhla und in die Dresdner Neustadt geliefert, für ein betagtes Ehepaar, eine alleinstehende Seniorin und eine sparsame Studentin. Mittags ging es wieder zum Lieferanten nach Grimma.

Die Zwischenstopps sind nötig, weil auf dem Laster gar nicht mehr Zuladung möglich wäre. Der Lkw würde unter der tonnenschweren Last der Kohlensäcke und Brikettbündel zusammenbrechen. Gewicht, das Bosse und sein Kollege später auf ihren Schultern in die Keller und Höfe seiner Kunden schleppen. Auf der grünen Außenplane des Lasters steht „BACH – Großes Haus für Bäder und Fliesen“. Bosse hat den Wagen vor Jahren von einem Sanitärgroßhändler gebraucht gekauft, um seine Kohlen auszuliefern.

Gegen 13.30 Uhr rollt er mit Tempo 70 gen Benndorf, ein Örtchen im Leipziger Süden. Die Mittagssonne glänzt über abgeernteten Äckern und Feldern. Am Ende des Dorfes, vor einem unsanierten Haus, steht ein wortkarger, schwerhöriger Mann mit Stock in der Tür. Bosse und sein Kollege laden anderthalb Paletten Briketts von der Rampe in einen niedrigen Schuppen hinter dem Haus. Anderthalb Tonnen. Man muss sich ducken, um sich nicht den Kopf zu stoßen. Eigentlich wollte er längst eine Heizung einbauen, erzählt der Mann noch. Doch er verschiebe es Jahr um Jahr. Nach etwa 20 Minuten wird abgerechnet und in bar bezahlt, 411 Euro. „Kohle gegen Kohle“, sagt Bosse. „Das ist mir lieber. Die Zahlungsmoral ist schlecht geworden.“ Auf Rechnungen und Überweisungen verlässt er sich ungern.

Dann geht es weiter nach Bad Lausick, der grüne Lkw hält an der Hauptstraße vor einer Hofeinfahrt. 25 Säcke zu 50 Kilo werden in das Haus getragen, das längst Zentralheizung hat. „Wir lassen nur den Stubenofen in der Übergangszeit laufen, im Herbst und im Frühjahr“, erzählt der Besitzer. Das sei günstiger und angenehmer. Als Kohlenpeter wieder aufbricht, bleibt eine feine Spur schwarzer Staub auf dem Bürgersteig zurück.

Bosse ist 56, seit 40 Jahren schleppt er Kohlen. 1997 hat er sich selbstständig gemacht, während die ersten Kohlenhändler aufgaben. In die Wiege gelegt war ihm das nicht. Sein Vater war Geiger, Dirigent und Musikprofessor, sein Name zählte etwas am Leipziger Gewandhaus. Auch Sohn Peter lernte Geige, die Aufnahmeprüfung zur Musikhochschule hatte er mit 15 Jahren bestanden, erzählt er. Doch der Jugendliche bricht aus dem Familienrahmen aus, schlüpft bei Freunden und Bekannten in Leipzig-Connewitz unter. Es ist das Jahr 1978 und Peter Bosse hat kein Geld. Als er in einer Kneipe mit Kohlen-Männern ins Gespräch kommt, bieten sie ihm an: Wir nehmen dich mit. Er guckt sich das an und bleibt.

Kohlensäcke statt Konzertsäle?

Wenn er von seinem ungewöhnlichen Lebensweg erzählt, hadert der Kohlenmann nicht mit seinem Werdegang. „Ich bin ein bisschen aus der Norm geschlagen“, sagt er. „Aber trotzdem ein guter Kerl.“ Kohlensäcke statt Konzertsäle? „Ich kann mir gar nichts Besseres vorstellen“, sagt Peter Bosse. „Ich bin mein eigener Herr, jeden Tag unter Leuten und im Sommer kann ich ab 11 Uhr am Strand liegen.“ Seine Schwester, die Ärztin geworden ist, habe mal zu ihm gesagt, die körperliche Arbeit mit der Kohle habe ihm vielleicht das Leben gerettet – gemessen an den 70 bis 80 Zigaretten, die er früher geraucht habe. Natürlich fluche er auch manchmal auf den Job. „Aber Probleme gibt es doch in jedem Beruf.“

Nur Autofahren kann Peter Bosse nicht. Den Führerschein hat er nie gemacht. Deshalb lenkt immer ein Kollege den Laster, während der Chef auf dem Beifahrersitz den Papierkram erledigt und Telefonate führt. Seit einem Jahr fährt Falk, 52, ein ehemaliger Fernfahrer, der seinen Nachnamen nicht nennen will. Früher war er in Spanien, Italien oder Skandinavien unterwegs. Jetzt in Benndorf und Grimma. Was besser ist? Falk lächelt müde. Soll er das wirklich beantworten? Die Gesundheit lasse ihm halt keine andere Wahl.

Auch bei Peter Bosse hat der Knochenjob Spuren hinterlassen: Der Rücken kaputt, die Knie kaputt. Er trägt nur Säcke auf geraden Wegen und nur, wenn es nötig ist. Keine Treppen. Doch seinen Humor hat er nicht verloren. Seinen gemütlichen Bauch nennt er am liebsten „Feinkostgewölbe“. Auch auf die Kohle lässt er nichts kommen. Das sei doch immer noch die preiswerteste Art zu heizen, sagt er. Und die Sache mit dem „Umweltmist“: Totaler Schwachsinn sei das. In Nachbarländern wie Tschechien und Polen werde die Kohle sogar wieder ausgebaut. Solche Kunden hat Peter Bosse auch: Hausbesitzer, die sich neue Öfen und Kamine angeschafft haben, weil sie die Art der Wärme angenehmer finden. Und wie werden die auf ihn aufmerksam? Der Kohlenpeter hat einen kleinen Eintrag bei Facebook und schaltet Anzeigen in der Zeitung. Außerdem macht er noch klassisch Werbung wie in alten Kohlezeiten: In der Nebensaison verteilt er Handzettel etwa in Leipziger Straßenzügen, in denen noch manche unsanierte Häuser stehen.

Zwei Flaschen Bier für den Feierabend

Aus Bad Lausick geht es an diesem Nachmittag zehn Kilometer weiter durch die Landschaft, nach Thierbaum, ein hübsch sanierter Ort. Am Ende einer Sackgasse, zwischen Weiden und Wiesen, warten auf einem winzigen Gehöft Erika und Fritz Manthey in der Nachmittagssonne. Vergnügt schauen sie zu, wie Bosse und sein Kollege die Säcke in den kleinen Schuppen tragen. In ihrer Küche steht ein Herd, den sie erst vor ein paar Jahren neu angeschafft haben. Damit kochen sie und heizen gleichzeitig die kleine Küche auf. „Die Wärme ist doch viel gesünder und angenehmer als die trockene Luft“, sagt Erika Manthey. Neben etwas Trinkgeld geben sie den Kohlenmännern noch zwei Flaschen Bier für den Feierabend mit. „Wir werden euch ins Abendgebet einschließen“, verspricht der Kohlenpeter.

In der untergehenden Sonne geht es zurück nach Leipzig. Am orange und lila gefärbten Abendhimmel drehen sich Windräder, neben ihnen steigt dicker Rauch aus dem Kohlekraftwerk Lippendorf auf. In der Leipziger Mariannenstraße, gleich hinter der Eisenbahnstraße, hat eine Studenten-WG noch 20 Säcke bestellt. In der Dunkelheit muss aber erst mal die richtige Kellerluke an der unsanierten Altbaufassade gefunden werden. Dann rutschen die letzten Kohlen des Tages in den Keller. Gegen halb sechs ist Feierabend, ein langer Tag. Aber für Kohlenpeter ist Hauptsaison. „In der Stoßzeit kann man eben nicht auf der Couch liegen“, sagt er. „Das ist wie bei den Bauern: Wenn geerntet wird, muss man ran.“ Er will weitermachen, solange ihn die Beine tragen und er sich und seinen Sohn satt kriegt. Bosse hat vier Kinder, sein 13-Jähriger wohnt noch bei ihm. „Aber Millionäre“, sagt er, „werden wir nicht mehr.“