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Sächsische Zeitung 21.09.2019 Link: saechsische.de Download PDF

Der Mann, der Leipzig zum Sieg verhalf

Rafael Laguna de la Vera wird die Innovationsagentur des Bundes führen. Für den gebürtigen Leipziger ist Stillstand ein Graus.

Rafael Laguna sitzt im Taxi nach Berlin-Tegel, da hat er ein paar Minuten Zeit für ein kleines Interview. Der Mann, der die neue, milliardenschwere Bundesagentur für Sprunginnovationen nach Sachsen holte und in Leipzig leiten soll, ist immer unterwegs, immer unter Strom. Man darf sich den Gründungsdirektor nicht als Grüß-Onkel vorstellen – sondern vielmehr als einen Getriebenen, der sein Leben lang auf der Suche nach Neuigkeiten ist. „Innovation hält mich am Laufen“, sagt er. „Wiederholung langweilt mich.“

Am Mittwochmittag saß der 55-jährige gebürtige Leipziger mit Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und Wirtschaftsminister Peter Altmaier im Wirtschaftsministerium in Berlin und verkündete, dass der Sitz der Agentur nach Leipzig kommt – und nicht nach Potsdam oder Karlsruhe geht. Davon hatte er die Bundesregierung kurzerhand überzeugt. Nicht nur, weil die Stadt die richtigen Parameter bei Wirtschaft, Wissenschaft, Verkehr und Grundstimmung habe. Sondern auch, weil mit der Entscheidung für die agile ostdeutsche Stadt der Friedlichen Revolution ein Signal ausgehe. Jetzt hat er ein paar Fans in Sachsen mehr, und ein paar Freunde in Potsdam und Karlsruhe weniger.

Dass Laguna im Juli Gründervater der Agentur wurde, ist logische Folge seiner Lebensgeschichte. Als Gründer und Chef des Kölner IT-Unternehmens Open-Xchange hat er unter anderem die Microsoft-Vorherrschaft bei E-Mail-Lösungen besonders für Unternehmen, Behörden und Bildungseinrichtungen gebrochen, er managt heute 270 Mitarbeiter und 45 Millionen Euro Umsatz. Daher saß er auch in der Gründungskommission für die neue Agentur – bis man ihn fragte, ob er nicht den Chefposten selbst übernehmen wolle. Er wollte, bewarb sich und setzte sich durch. Zudem billigte man ihm zu, dass er „Open-Xchange“ weiterführen darf. Der neue Job sei ein Traum für ihn, sagt er. „Extrem notwendig, extrem interessant und extrem spannend.“ Er sei nun in einer Lebenssituation, in der er beide Aufgaben vereinbaren könne. „Die Kinder sind groß, die Firma ist groß. Und ich liebe Veränderung.“

Unternehmertum gepaart mit Weltläufigkeit und Bauernschläue sind ihm in die Wiege gelegt: Schon Urgroßvater Kurt Schirmer betrieb eine Schuh-Maschinenfabrik in Pegau. Als die DDR entstand, überschrieb er die Firma seiner holländischen Ehefrau. So verhinderte die Familie eine Enteignung. Sein Vater ist Spanier, von ihm stammt der vollständige Nachname Laguna de la Vera. Beide Eltern arbeiten als freiberufliche Dolmetscher und Übersetzer. „Ein Angestellten-Dasein kenne ich aus meiner Kindheit gar nicht“, sagt Laguna.

Da der Vater die spanische Staatsbürgerschaft behielt, konnte die Familie die DDR mit Ausreiseantrag verlassen. Am 24. Oktober 1974 fuhren sie mit einem Umzugswagen, den Verwandte aus Westdeutschland schickten, in eine Pension der Tante im Sauerland. „Es ging uns gut in der DDR. Aber ich war trotzdem froh, der real-sozialistischen Enge zu entkommen.“ Die Lagunas hielten Kontakt nach Sachsen und besuchten manchmal die Leipziger Messe. Anfang der 1990er Jahre erwarben sie das Haus des Urgroßvaters zurück, Rafael Laguna hat bis heute eine Wohnung darin. Sie gründen sogar im Ort eine kleine Firma, die sich um Immobilien kümmert. Die Eltern bleiben indes im Bergischen Land und arbeiten dort auch mit über 80 Jahren noch als Übersetzer.

Als Rafael in den Westen kommt ist er Zehn. Zwei Jahre später begann er seinen heutigen Weg: Mit Bausatz und Lehrgang lötete er seinen ersten Mikrocomputer zusammen. 1980, als Abiturient von 16 Jahren, gründete er sein erstes Unternehmen: „Elephant Software“ importierte neue Computer-Programme aus den USA. Es folgten eine Firma für computergestützte Kassen im Getränkehandel, Jobs als Programmierer und IT-Berater, schließlich seit dem Jahr 2005 sein Lieblingskind Open-Xchange. Dabei war der junge Herr Laguna, der Bill Gates bei einer Konferenz in München schlaue Tipps gab, nach drei Wochen aus dem Informatikstudium ausgestiegen.

Open-Xchange hat zahlreiche Standorte in der halben Welt: Das Unternehmen ist vernetzt wie eine virtuelle Firma mit Kollegen in 20 Ländern. Ihr Chef ist, wie ein Vertrauter schätzt, 200 Tage im Jahr auf Achse. Die „Agentur für Sprunginnovationen“ dürfte ähnlich arbeiten. Sie soll künftig Erfindungen „Made in Germany“ zum weltweiten Durchbruch verhelfen. Wie einst der mp3-Standard für Musikdateien, der zwar aus Deutschland kam – aber von Apple zum Welterfolg gemacht wurde. Bundesweit soll die Turbo-Agentur nun bei Innovationen das Gras wachsen hören und sie wirtschaftlich auf die Beine bringen. Dafür stehen in den nächsten zehn Jahren eine Milliarde Euro bereit. Schon jetzt hat Laguna mit einigen Interessenten und Projekten gesprochen, auch in Sachsen. „Es gibt jede Menge schlaue Ideen.“

Der bodenständige Kosmopolit, der im Bergischen Land lebt, ist ein Mann, der sich für viele Zukunftsfragen interessiert. Auf seinem Nachttisch liegen nach seiner Schilderung neben guter Science-Fiction allerhand Bücher über IT, Künstliche Intelligenz, Physik, Astronomie, Raumfahrt, Biologie, Hirnforschung, Geschichte, Politik und Philosophie. Komprimiert gesagt mit Bestsellerautor Yuval Noah Harari: „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“. Die Leipziger Zentrale der „Sprung-Agentur“ werde, so Laguna, vor allem ein Knotenpunkt für Experten und Projekte im ganzen Land sein.

Organisatorisches Vorbild ist die amerikanische Agentur DARPA – für Defense Advanced Research Projects Agency– , eine Organisation mit einem Milliarden-Budget für Forschungsprojekte zur Verteidigung, für Weltraum- und andere Technologieprojekte. Deren früherer Chef Tony Tether hat den Satz geprägt: „Wir sind 100 Genies, verbunden durch ein Reisebüro.“ Ein solches Sprung-Büro könnte bald auf dem Gelände der alten Bauwollspinnerei in Leipzig zu finden sein.